Fluggastrechte (nun doch) vor dem Umbruch? EU-Staaten wollen Entschädigung erst ab vier Stunden
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Überraschender Kurswechsel im Ministerrat – Verbraucherrechte auf der Kippe, Parlament muss entscheiden
Noch am Donnerstagvormittag galt eine Einigung als unwahrscheinlich: Deutschland, Belgien, Österreich und weitere Länder hatten sich gegen die von der EU-Kommission geplante Abschwächung der Fluggastrechte gestellt. Eine sogenannte Sperrminorität im Ministerrat schien sicher.
Doch nun die Kehrtwende: Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat sich für eine Reform ausgesprochen, die künftig erst ab vier Stunden Verspätung eine Entschädigung vorsieht – nicht wie bisher schon ab drei Stunden.

Wie es zu dieser Verschiebung kam, ist bislang nicht offiziell dokumentiert. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass ein oder mehrere bislang kritische Staaten – vermutlich Spanien oder die Niederlande – ihre Position geändert haben, möglicherweise auf Druck der Ratspräsidentschaft oder im Rahmen eines Kompromisspakets.
Was die EU-Staaten beschlossen haben
Neben der Anhebung der Verspätungsschwellen sieht der aktuelle Kompromiss im Ministerrat weitere massive Einschränkungen der Verbraucherrechte vor:
- Ausgleichszahlungen sollen künftig erst ab vier Stunden Verspätung greifen, bei Langstreckenflügen sogar erst ab sechs Stunden. Damit entfällt der Großteil der Fälle, für die bislang Entschädigungen gezahlt werden mussten.
- Kürzung der Entschädigungssummen: Bei Langstreckenflügen sinkt die Entschädigung von 600 € auf 500 €, während Kurz- und Mittelstrecken pauschal mit 300 € abgegolten werden sollen statt wie bisher mit 250 € und 400 €, was de Facto ebenfalls eine Reduzierung der bisherigen Summen bedeutet
- Nur ein Anspruch pro Reise – bei Umsteigeverbindungen entfällt die Entschädigung für Einzelsegmente
- Erweiterung der „außergewöhnlichen Umstände“ auf technische Defekte, Crew-Erkrankung, Flugsicherungsstreiks. Das würde bedeuten, dass die meisten Fälle überhaupt nicht mehr entschädigungsfähig wären, da die meisten Flugvorfälle auf Umständen beruhen, die die Airline durch Organisationsverschulden (technische Defekte, Crew-Verspätungen) zu vertreten hat. Damit würde den Airlines ein Blankocheck für Verspätungen ausgestellt - der bisherige Zweck der Verordnung, für mehr Flugpünktlichkeit zu sorgen, liefe ins Leere.
Deutschland bleibt bei seiner Ablehnung
Deutschland - bei dem Treffen in Luxemburg vertreten von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder – hat dem Beschlussvorschlag nicht zugestimmt. "Wir haben den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt gestellt“, sagte Schnieder im Anschluss an die Entscheidung. Darum habe man den letztlichen Kompromiss nicht mittragen können.

Rechtsanwalt Carl Christian Müller Vertragsanwalt der SOS-Flugverspätung ist Rechtsexperte für Reiserecht
Weniger Schutz für Passagiere heißt auch: Weniger Pünktlichkeit bei den Airlines
„Die vorgeschlagene Reform würde die Position der Fluggäste im europäischen Reiserecht spürbar schwächen. Die aktuell geltende Verordnung ist bewährt, praxistauglich und gut austariert – Änderungen sollten nicht zulasten der Passagiere erfolgen, weil die bestehenden Regelungen auch eine disziplinierende Funktion gegenüber den Airlines haben. Wird dieser Anreiz abgeschwächt, droht die Verlässlichkeit im Luftverkehr weiter zu sinken.“
Was passiert jetzt? Der Trilog beginnt
Bevor die Neuregelung in Kraft treten kann, muss das Europäische Parlament zustimmen. Im nächsten Schritt beginnt das sogenannte Trilogverfahren, bei dem Parlament, Ministerrat und EU-Kommission einen gemeinsamen Gesetzestext verhandeln. Das Parlament kann die Reform noch stoppen, verändern oder abschwächen.
FDP-Europaabgeordneter Jan-Christoph Oetjen kündigte bereits Widerstand an. Die bestehende 3-Stunden-Regel sei „etabliert und funktional“ – eine Änderung sei nicht notwendig. Auch der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke hat bereits deutlich gemacht, dass das Parlament keine Verschlechterung des Status quo akzeptiere.