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Das störende Verhalten eines Fluggastes kann einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellen, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen wegen der Annullierung oder großen Verspätung des betreffenden Fluges oder eines nachfolgenden Fluges befreien kann, den es selbst mit demselben Luftfahrzeug durchgeführt hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 11.06.2021 entschieden (Az. C-74/19).
Das Luftfahrtunternehmen hat jedoch als zumutbare Maßnahmen, die es zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen ergreifen muss, die frühestmögliche anderweitige Beförderung der Fluggäste durch andere direkte oder indirekte Flüge zu gewährleisten, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden.
Im Urteil Transportes Aéreos Portugueses hat der Gerichtshof die Begriffe „außergewöhnliche Umstände“ und „zumutbare Maßnahmen“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-Verordnung präzisiert.
So hat er entschieden, dass das störende Verhalten eines Fluggastes, das zur Umleitung des Luftfahrzeugs und damit zur Verspätung des Fluges geführt hat, unter bestimmten Voraussetzungen einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt und sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen auf diesen „außergewöhnlichen Umstand“ berufen kann, der nicht den annullierten oder verspäteten Flug, sondern einen anderen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Luftfahrzeug durchgeführt hat. Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass die anderweitige Beförderung eines Fluggastes durch das Luftfahrtunternehmen mit dem nächsten Flug, den es selbst durchführt und der dazu führt, dass der Fluggast am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Tag ankommt, nur dann eine „zumutbare Maßnahme“ darstellt, die das Unternehmen von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreit, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Im Ausgangsrechtsstreit streiten ein Fluggast und das Luftfahrtunternehmen Transportes Aéreos Portugueses (TAP) über die Weigerung dieses Unternehmens, diesem Fluggast, dessen Anschlussflug bei der Ankunft am Endziel erheblich verspätet war, einen Ausgleich zu leisten. Das Luftfahrtunternehmen hatte das Ausgleichszahlungsbegehren mit der Begründung abgelehnt, dass die Verspätung des betreffenden Fluges auf das störende Verhalten eines Fluggastes zurückzuführen gewesen sei, das auf dem vorangegangenen, mit demselben Luftfahrzeug durchgeführten Flug stattgefunden und zu einer Umleitung des Luftfahrzeugs geführt habe, und angenommen, dass dieser Umstand als „außergewöhnlich“ im Sinne der Verordnung über die Fluggastrechte einzustufen sei und es von seiner in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreie.
Das Tribunal Judicial da Comarca de Lisboa (Bezirksgericht Lissabon, Portugal) hatte Zweifel an der rechtlichen Einstufung des diese Verspätung verursachenden Umstands hinsichtlich der Frage, ob sich ein Luftfahrtunternehmen auf einen solchen Umstand berufen kann, wenn er das den betreffenden Flug durchführende Luftfahrzeug zwar betroffen hat, allerdings während eines zuvor durchgeführten Fluges, sowie Zweifel hinsichtlich der Frage, ob das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat.
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Insoweit hat der Gerichtshof daran erinnert, dass ein Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, den Fluggästen einen Ausgleich zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges bzw. dessen um drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, und es bei Eintritt eines solchen Umstands die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt, ohne dass jedoch von ihm angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer verlangt werden können.
Als Erstes hat der Gerichtshof daran erinnert, dass als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Verordnung über die Fluggastrechte Vorkommnisse angesehen werden können, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind. Solche Umstände können insbesondere bei Sicherheitsrisiken eintreten.
Nach der Feststellung, dass das störende Verhalten eines Fluggastes, das zu einer Umleitung des Luftfahrzeugs geführt hat, tatsächlich die Sicherheit des betreffenden Fluges betrifft, hat der Gerichtshof zum einen ausgeführt, dass das fragliche Verhalten nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist. Zum anderen kann das Luftfahrtunternehmen ein solches Verhalten grundsätzlich nicht beherrschen, da erstens das Verhalten eines Fluggastes und seine Reaktionen auf Anweisungen der Besatzung nicht vorhersehbar sind und zweitens an Bord eines Luftfahrzeugs der Kommandant wie die Besatzung nur über begrenzte Mittel verfügen, um ein solches Verhalten zu beherrschen.
Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass bei dem fraglichen Verhalten nicht angenommen werden kann, dass es vom betroffenen ausführenden Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar ist, und dass es daher nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden kann, wenn es sich herausstellt, dass das Unternehmen zum Auftreten des Verhaltens beigetragen hat, oder wenn es aufgrund der Anzeichen für ein solches Verhalten imstande war, es vorauszusehen und angemessene Maßnahmen zu einem Zeitpunkt zu ergreifen, als es dies ohne bedeutende Folgen für den Ablauf des betreffenden Fluges tun konnte. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn das Luftfahrtunternehmen einen Fluggast hat an Bord gehen lassen, der vor oder beim Anbordgehen bereits Verhaltensstörungen gezeigt hatte. Als Zweites hat der Gerichtshof klargestellt, dass es einem Luftfahrtunternehmen möglich sein muss, sich zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste bei großer Verspätung oder Annullierung eines Fluges auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ zu berufen, der einen vorangegangenen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Luftfahrzeug durchgeführt hat, sofern ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses den vorangegangenen Flug betreffenden Umstands und der Verspätung oder Annullierung eines späteren Fluges besteht, was das nationale Gericht im Hinblick auf den ihm vorliegenden Sachverhalt und insbesondere unter Berücksichtigung des Betriebsmodus des betreffenden Luftfahrzeugs zu beurteilen hat.
Als Drittes hat der Gerichtshof festgestellt, dass bei Eintritt eines „außergewöhnlichen Umstands“ das Luftfahrtunternehmen, das sich von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste befreien möchte, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen muss, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung sicherzustellen. Dazu gehört die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen.
Folglich kann bei dem Luftfahrtunternehmen nicht davon ausgegangen werden, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, wenn es sich darauf beschränkt, dem betroffenen Fluggast eine anderweitige Beförderung zu seinem Endziel durch den nächsten Flug anzubieten, den es selbst durchführt und der am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Ankunftstag am Ziel ankommt, es sei denn, auf einem anderen direkten oder indirekten Flug, der es dem Fluggast ermöglicht, mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens an seinem Endziel anzukommen, ist kein Platz verfügbar oder die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung stellt für das Luftfahrtunternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dar.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 11. Juni 2021